Schloss Einstein - die erste Soap Opera im deutschen Kinderfernsehen | ||
Diplomarbeit von Peter Hermann | ||
Bea Schmidt Leiterin Development bei der Bavaria Film GmbH, München Telefoninterview am 20.12.99 |
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In welcher Funktion waren Sie an der Entwicklung von Schloss Einstein beteiligt? Als Leiterin des Development-Departments der Bavaria Film habe ich diese Serie entwickelt – das heißt, ich habe sie von der Idee, von der Suche nach Autoren, über ein Konzeptpapier bis hin zur Präsentation und darüber hinaus die Entwicklung der Bücher, maßgeblich betreut. Ich habe also in Zusammenarbeit mit den Autoren und den Redakteuren – zeitweise einer ganzen Redaktionsgruppe – das Serienkonzept und die Bücher entwickelt. Wer gab den Anstoß, Schloss Einstein zu entwickeln? Ich glaube, die Idee, eine Serie für diese Zielgruppe und diesen Kanal zu machen, kam vom Sender. Ich kann Ihnen nicht mehr genau sagen, wer letztlich die Idee hatte, die Serie in einem Internat spielen zu lassen – es gab damals verschiedene Konzepte. Man probiert verschiedene Dinge aus und in der Diskussion entstehen die Ideen. Sagen wir, die Idee für Schloss Einstein entstand in der Diskussion und im Brainstorming. Mit welcher Zielsetzung und mit welchen Vorgaben ist der WDR damals auf Sie zugekommen? Die Vorgabe war, für den Kinderkanal eine langlaufende Serie zu entwickeln. Dem Publikum dieser Altersgruppe – also den acht- bis zwölf- oder 13-Jährigen, die den Kinderkanal sehen und für die dieser Kinderkanal ins Leben gerufen wurde – sollte eine Serie angeboten werden, die nicht nach 13 Folgen zu Ende ist, sondern die weitgehend das Jahr über ausgestrahlt werden kann. Das Ziel war also, Kindern ein deutsch produziertes, fiktionales, kontinuierliches Programm zu bieten, in dem sie sich wiederfinden können und das sie dann auch an einen Sendeplatz bindet. Was waren die strategischen Hintergründe für die Entwicklung des Formats? Es gab auf dem Kinderkanal damals weitgehend altes Programm. Der Sender war noch sehr jung und konnte deshalb noch nicht viel selber produziert haben. Außerdem hat der Kinderkanal ein eng begrenztes Budget. Schloss Einstein wurde entwickelt, um neues Programm anbieten zu können, das nicht gleich nach ein paar Wochen schon wieder beendet ist, und um nicht nur alte Sachen zum x-ten Mal zu wiederholen, sondern um eben ein originäres Projekt vorweisen zu können. Daily Soaps sind ja bereits bei Kindern der Zielgruppe, die mit Schloss Einstein angesprochen werden soll, sehr beliebt. Spielte dies eine Rolle bei der Entwicklung des Formats Schloss Einstein? Schloss Einstein ist nicht eine Form der Soap, so würde ich das gar nicht nennen. Die Tatsache, dass Schloss Einstein regelmäßig einmal die Woche ausgestrahlt wird, macht die Serie noch nicht zur Soap. Schloss Einstein ist eine in Fortsetzungen erzählte Geschichte, die nicht nur abgeschlossene Geschichten hat, sondern eben auch fortführende. Schloss Einstein ist einfach eine langlaufende Serie, die aufgrund ihrer Figurenkonzeption, ihrer Figurenkonstellation und ihres Grundkonzepts – denn in einem Internat kann sehr viel mehr passieren als in einer Familie; zum Beispiel sind in einer Familie die Geschichten schneller zu Ende erzählt, weil eben das Personal begrenzter ist als bei einem Internat – das Potenzial hat, dass man das ganze Jahr über sehr viele Geschichten von Jugendlichen und Kindern erzählen kann, die zu dieser Zielgruppe gehören. Dass viele Kinder im Zielgruppenalter sehr gerne langlaufende Serien sehen, wie zum Beispiel auch Daily Soaps, spielte bei der Entscheidung, Schloss Einstein in dieser Form zu erzählen, also keine Rolle? Das ist der falsche Ansatz. Man brauchte ein Konzept, das nicht nach 13 Wochen zu Ende ist, sondern das sich ein Jahr über trägt und möglicherweise auch noch darüber hinaus geht. Das ist die Gemeinsamkeit zur Daily Soap, aber das macht Schloss Einstein noch nicht zu einer selbigen. Gibt es Vorbilder oder Vorläufer von Schloss Einstein im internationalen Fernsehen? Nein. Es gibt für diese Altersgruppe auf dem internationalen Markt kein vergleichbares Format. Welche Vorstellungen von den Problemen und Wünschen der Kinder im Zielgruppenalter waren grundlegend für die Entwicklung von Schloss Einstein? Wir haben große Recherchen in verschiedenen Schulen und Internaten unternommen, insbesondere in der Berliner Gegend. Wir haben dazu auch eine umfangreiche schriftliche Dokumentation erstellt, die dann ausgewertet und den Autoren zur Verfügung gestellt wurde. Wir haben selber recherchiert und versucht, die Probleme, Wünsche und Sehnsüchte zu erfassen und in einer fiktiven Form wiederzugeben. Wurden bestimmte inhaltliche oder formale Elemente, Themen, wiederkehrende Handlungsweisen etc. aufgrund dieser Recherche eingebaut? Viele Dinge, die wir in diesen Untersuchungen, in den Gesprächen mit den Jugendlichen, erfahren haben, haben wir versucht, in die Geschichte einfließen zu lassen. Mit welchen Themen sollte die Zielgruppe konkret angesprochen werden? Das sind die Themen Mädchenfreundschaft, Jungenfreundschaft, natürlich erste Liebe, Auseinandersetzung mit dem Elternhaus und Enttäuschung über Eltern, Trennung der Eltern und selbstverständlich Schulprobleme. Das waren schon zu meiner Jugend die Themen und werden wahrscheinlich auch noch die Themen meiner Kinder sein. Mit der Zeit ändert sich nur die Art und Weise, wie diese behandelt werden. Sind Erkenntnisse der Kinder- und Jugendforschung, der Pädagogik oder der Entwicklungspsychologie in die Entwicklung von Schloss Einstein eingeflossen? Nein. Ich habe keine entwicklungspsychologischen Bücher gelesen. Wir haben uns nur von den praktischen Erfahrungen, die unsere Gespräche ergeben haben, leiten lassen. Wurde bei der Entwicklung von Schloss Einstein an einen möglichen weltweiten Verkauf der Serie gedacht? Unsere primäre Ausrichtung war die deutsche Ausstrahlung. Wir haben zwar gewusst, dass dieses Format „langlaufende Serie“ immer gesucht wird und haben uns aufgrund der Konkurrenzlosigkeit des Formats natürlich auch versprochen, dass es Möglichkeiten für einen weltweiten Verkauf gibt; inhaltlich haben wir darauf aber keine Rücksicht genommen – meiner Meinung nach hätte das nicht gerade zum Erfolg einer solchen Serie geführt. Wenn man zu sehr auf den internationalen Verkauf schielt, geht das auf Kosten von originären, hier angesiedelten Figuren und Gefühlen, weil man immer darauf Rücksicht nehmen würde. Wurde Schloss Einstein bereits ins Ausland verkauft? Ja, nach Polen. In andere Länder noch nicht. Diese Zielgruppe wird in anderen Ländern nicht so sehr angepeilt. Das Interesse an dieser Zielgruppe ist auch bei uns erst durch den Kinderkanal entstanden. In anderen Ländern gibt es eben nur Kinderfilme – und dann kommt in der Regel schon der Sprung zu den Dailies. Glauben Sie, dass eine Serie wie Schloss Einstein auf einem kommerziellen Kanal eine Chance hätte? Für Privatsender wäre Schloss Einstein wahrscheinlich zu teuer. Trotz der industriellen Fertigungsweise ist Schloss Einstein immer noch teurer als eingekaufte Filme – und so viel lässt sich durch die Werbung nicht refinanzieren. Sie sehen ja, dass auf den privaten Kanälen keine vergleichbare Sendung produziert wird. Schloss Einstein ist wirklich ein sehr öffentlich-rechtliches Programm, zumal wir ja auch immer versuchen, pädagogischen Anspruch mit zu implizieren. Das ist auch dem Redakteur, Dieter Saldecki, ein ganz großes Anliegen gewesen, was ich auch sehr begrüßt habe. Ein bisschen durch die Hintertür haben wir natürlich auch im Kopf gehabt, etwas zu vermitteln. Wurden speziell aus pädagogischen Erwägungen heraus auch Figuren eingeführt? Wir haben z.B. versucht, gegen gängige Klischeerollen von Mädchen und Jungen anzugehen, indem wir eine Mädchenrolle entwickelt haben, die besonders wissenschaftlich orientiert ist. Gab oder gibt es Markt- oder Bedarfsanalysen, Test-Screenings etc.? Nein, das haben wir nicht gemacht. Es ist auch wesentlich schwieriger, mit Kindern so etwas zu machen. Das ist aber nicht einmal bei den Dailies im Vorfeld gemacht worden, sondern nur sendungsbegleitend. Ich habe beide ARD-Dailies mitentwickelt und weiß daher, dass das auch bei den Dailies vor der Ausstrahlung nicht passiert ist. Inwiefern unterscheidet sich die Stoffentwicklung bei Schloss Einstein von der Stoffentwicklung beim „Marienhof“ oder bei „Verbotene Liebe“? Ein wesentlicher Aspekt der Stoffentwicklung bei Schloss Einstein war, dass wir darauf achten mussten, dass wir verschiedene Stränge und Figurenkonstellationen entwickeln, die nicht immer miteinander zu tun hatten. Wir wussten ja, dass jedes Kind nur drei Stunden am Tag drehen darf. Also mussten wir darauf achten, dass die Geschichten für die Figuren A, B und C nur am Rand etwas mit den Geschichten der Figuren D, E und F zu tun haben. Diese beiden Gruppen durften nicht zu viele gemeinsame Auftritte haben, weil die dann zu einer anderen Zeit gedreht werden. Wir konnten nicht so frei mit den Figuren umgehen, wie das vielleicht inhaltlich von uns gewünscht war, sondern mussten akribisch darauf achten, dass das auch produktionstechnisch machbar ist. Die Serienzeit in Schloss Einstein verläuft nicht parallel zur Realzeit der Zuschauer. Warum wurde darauf kein Wert gelegt? Das hatten wir am Anfang vor, haben es aber dann aufgegeben, weil das mit der Produktionszeit nicht auf einen Nenner zu bringen ist. Sie können nicht im Winter auch Winterfolgen zeigen, weil sie im Sommer drehen. Wir hatten am Anfang vor, dass die Rezeptionszeit die selbe ist, wie die gesendete Zeit. Das ist aber nicht zu machen – es sei denn, Sie stellen alles auf Innendrehs ab, aber sobald Sie einen Außendreh machen, ist das nicht mehr möglich. Deshalb haben wir uns davon verabschiedet. Was waren Ihre Ansprüche, die Sie in Schloss Einstein verwirklicht sehen wollten? Ich wollte gutes, unterhaltendes Kinder- und Jugendprogramm machen, das für die Jugendlichen eine Alternative zu den häufig spekulativen und teilweise gewalttätigen Jugendprogrammen auf den anderen Sendern bietet – mit einem leicht pädagogischen Inhalt, der aber nur in solcher Form rüberkommt, dass es nicht aufdringlich und für die Kinder abschreckend ist, sondern primär unterhaltend. Eltern sollten ihre Kinder dieses Programm ohne Probleme sehen lassen können – das ist ja ein deutliches Kennzeichen, das den Kinderkanal von anderen Sendern unterscheidet – ohne dass sie Bedenken haben müssen, dass es für ihre Kinder und deren Entwicklung nicht förderlich ist, sondern eben positiv. Jede Serie zeigt ja im Prinzip eine eigene Welt, die sich von der Welt anderer Serien unterscheidet. Wenn Sie die Welt von Schloss Einstein mit den Ihnen bekannten Welten von „Verbotene Liebe“ oder „Marienhof“ vergleichen, worin sehen Sie die Hauptunterschiede? Die Welt von Schloss Einstein ist wesentlich geschlossener, weil wir hier ein Internat haben. Die Welt von „Verbotene Liebe“ oder „Marienhof“ ist offener, da kann alles hineinkommen, alle unterschiedlichen Figuren und Orte können da hinein spielen. Durch das Internat ist diese Grundbasis bei Schloss Einstein begrenzt. Auch die Zuschauer in diesem Alter haben ja eine Welt, die nicht in alle Richtungen offen ist. Die Zuschauer sollen sich mit den Figuren – einer Gruppe – identifizieren, ein Zuhause finden, das kein erwachsenendominiertes Zuhause ist, wie sie dies im Elternhaus haben, sondern ein Zuhause, das zu 80 oder 90 Prozent von dieser Altersgruppe bestimmt wird. Das war letztlich der Grund, warum wir uns dann auch für dieses Format entschieden haben. Geschichten aus der Lebenswelt der Kinder... ...ohne eine zu starke Dominanz der Erwachsenen... ...so wird Schloss Einstein auch in der Presse angekündigt. Inwiefern sind die Geschichten in Schloss Einstein denn realistisch? Ich denke, insofern, als sie Probleme, Gefühle und Sehnsüchte dieser Jugendlichen widerspiegeln, aber bestimmt nicht genau in der Form, in den Abständen und in der Häufigkeit, wie das im realen Leben der Fall ist, denn dann würde ganz schnell Langeweile entstehen. Man muss immer komprimieren, man muss verdichten, wie generell im Fernsehen und bei anderen Filmen auch. Darin unterscheidet sich Schloss Einstein nicht von Erwachsenenserien. Man muss immer verdichten, auf den Punkt bringen und verstärken. Ich glaube nicht, dass soviel, wie in Schloss Einstein in der bisherigen Sendezeit passiert ist, in einem normalen Internat zusammenkommt – aber wir wollen ja schließlich auch unterhalten und keine Dokumentation machen. Wie würden Sie das Phänomen Schloss Einstein in allgemeine Tendenzen der Fernsehentwicklung und des Kinderfernsehens der 90er Jahre einordnen? Bei der Vielzahl der angebotenen Programme freut sich der Zuschauer – nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern alle Zuschauer –, wenn er durchgehende Formate hat, wo er die Figuren wiedererkennt, weil er sich nicht jede Woche auf neue Figuren, neue Rollen, ein neues Umfeld, neue Bereiche einlassen muss, sondern sich sagt: „Aha, das kenne ich, da fühle ich mich zu Hause, da weiß ich, was das für ein Charakter ist, vielleicht verändert er sich, vielleicht lernt er etwas dazu, aber ich kenne mich da ein wenig aus“. Das schafft eine große Bindung und die wird gesucht. Das ist der gleiche Effekt wie bei den Dailies und bei den Weeklies und bei den Serien generell, im Gegensatz zu Einzelstücken. |
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